Kann ein Erbe auch ohne eine letztwillige Verfügung für erbunwürdig erklärt werden?
OGH 28.1.2021, 2 Ob 174/20g
Eine für erbunwürdig befundene Person verwirkt das ihr im Normalfall zustehende Erbrecht. Einer erbunwürdigen Person hat daher auch keinen Anspruch auf den Pflichtteil. In den meisten Fällen wird ein Erbe durch eine letztwillige Verfügung des Erblassers (zB in Form eines Testaments) für erbunwürdig erklärt. Ein Erbe kann aber auch nachträglich, ohne eine letztwillige Verfügung des Erblassers, erbunwürdig werden.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in seiner jüngst ergangenen Entscheidung zum Erbrecht ausgesprochen, dass ein Erbe gemäß § 540 ABGB erbunwürdig wird, wenn er absichtlich die Verwirklichung des wahren letzten Willens des Verstorbenen vereitelt oder zu vereiteln versucht, etwa indem er den Erblasser zur Erklärung des letzten Willens gezwungen oder arglistig verleitet hat, oder den Erblasser an der Erklärung oder Änderung des letzten Willens gehindert oder einen bereits errichteten letzten Willen unterdrückt hat. Die Erbunwürdigkeit besteht aber nur dann, sofern der Verstorbene nicht zu erkennen gegeben hat, dass er dem Erben verziehen hat.
Das bedeutet, dass ein Erbe im Falle der absichtlichen Vereitelung des wahren letzten Willen des Verstorbenen erbunwürdig wird. Dies erfolgt im Sinne des § 540 ABGB auch dann, wenn der Verstorbene keine letztwillige Verfügung hinterlassen hat und durch die Handlung eines Erben die gesetzliche Erbfolge beeinträchtigt wird oder werden soll, etwa durch Fälschung oder Unterschiebung eines Testaments.
Dr. Halil ARSLAN
(Veröffentlicht im Bregenzer Blättle und Dornbirner Anzeiger vom 1. April 2021)