Der Ehebruch und die Frage nach der Schuld
28.02.2022
Führt eine Affäre immer zum alleinigen bzw überwiegenden Verschulden im Scheidungsverfahren?
Scheidungsgrund. Eine Affäre stellt eine schwere Eheverfehlung dar. Ein Ehegatte kann die Scheidung verlangen, wenn der andere Ehepartner durch eine schwere Eheverfehlung oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, dass die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechende Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden kann.
Ist der Ehebrecher jedoch automatisch immer allein oder überwiegend an der Zerrüttung der Ehe schuld? Nein. Auch im Falle eines Ehebruchs hat eine Verschuldensabwägung stattzufinden. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen, sodass auch ein Ehebruch nicht immer zum überwiegenden Verschulden des ehebrechenden Teils führen muss. Die Frage nach dem Verschulden kann daher nur nach den Umständen des Einzelfalls gelöst werden.
Judikatur. Der Oberste Gerichtshof hat zuletzt die Zärtlichkeiten sowie die außereheliche Beziehung der untreuen Ehefrau mit der schuldhaft herbeigeführten Impotenz sowie der fehlenden Beistandspflicht des Ehemannes abgewogen. Der Ehemann verursachte in alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall. Er erlitt schwerste Verletzungen, insbesondere eine langfristige Impotenz sowie eine dauerhafte Stuhl- und Harninkontinenz. Die Ehefrau hat den Ehemann jahrelang aufopferungsvoll gepflegt, konnte jedoch selbst nicht auf den Beistand des Ehemannes zählen, als innerhalb kürzester Zeit ihre Mutter, der Bruder sowie die Firmpaten starben. Er unterstützte sie in dieser Zeit überhaupt nicht. Im Gegenteil, er forderte die Ehefrau sogar am Tage nach dem Begräbnis ihrer Mutter auf, seiner Herkunftsfamilie im Haushalt zu helfen.
Der OGH sprach in diesem Fall aus, dass vor dem Hintergrund der gehäuften Todesfälle im Kreis der Vertrauenspersonen der Ehefrau und der fehlenden emotionalen Stütze durch den Ehemann die Affäre der Ehefrau sowie die Zärtlichkeiten mit einem anderen Mann deutlich weniger schwer wiegen. Dennoch sprach der OGH ein gleichteiliges Verschulden aus, weil sich der Ehemann nach dem Unfall selbst in einer sehr belastenden Situation befand und die Ehefrau eine außereheliche Beziehung einging, bevor die Ehe völlig zerrüttet war.
Weshalb ist die Verschuldensfrage wichtig? Eine Eigenart des österreichischen Scheidungsrechtes ist es, dass das Scheidungsurteil einen Ausspruch über die Schuld an der Zerrüttung der Ehe enthält. Das Gericht spricht aus, wen und in welchem Ausmaß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft. Die Verschuldensfrage ist deshalb so bedeutsam, weil der Anspruch auf Ehegattenunterhalt grundsätzlich vom Verschulden der Ehegatten abhängt.
(Erschienen in der VN und im VOL.AT)